Die Kleinstadt-Postfiliale


Es ist 17:14 Uhr Ortszeit. Wir befinden uns in der einzigen echten Postfiliale einer kleinen „Großen Kreisstadt“, deren östliche Ausläufer bis in die pittoreske Fränkische Schweiz ragen.

Ein Beamter aus den Reihen der Postnachfolgeunternehmen schiebt lächelnd seine Nickelbrille nach oben und schreit ein übermütiges „Der Nächste bitte!“ durch die Schalterhallen. Man könnte fast meinen, er hätte die Trompete von Jericho zweckentfremdet. Erschrocken durch die Manifestation dieser Stimmgewalt tritt Rentnerin Erna Wild an den Tresen, um sich die Zinsen für die diversen Postsparbücher nachtragen zu lassen.

Wir wollen uns zusammen nun die Kundenschlange etwas genauer ansehen: Als nächstes an der Reihe ist Sivakumar Sivasubramanium. Ein junger Mann, der „nur mal kurz“ per Western Union Geld an seinen Bruder in Bangalore senden möchte. In seinem Gesicht ist noch nichts von der Traurigkeit zu erkennen, wenn er erfahren wird, dass er dazu einen gültigen, amtlichen Lichtbildausweis benötigt. Dahinter, lässig an der Theke mit der „Gesamtausgabe Gelbe Seiten 1997“ gelehnt finden wir Eberhardt Grau, einem Finanzbuchhalter und Prokurist der lokalen Schokoladenfabrik. Er möchte sich über die Neuerscheinungen der Briefmarken Schmuckbögen und Sondermarken zur Saison beraten lassen.

Mittlerweile sind gute 20 Minuten vergangen. An er Spitze der Schlange befindet sich nun Getrud Weber. Ihr Blick folgt dem traurigen Sivakumar Sivasubramanium, der die Filiale verlässt. Bisher war sie der Annahme, dass sie mit ihren 7,4 Kilogramm über mehrere Jahre gesammelten Hartgeld die nächste an der Reihe wäre. Dieses Ansinnen wird torpediert durch den Teilzeit-Postangestellen Manfred Knöller, der seinen Schalter schließt und dem letzten anwesenden Kollegen „einen schönen Feierabend“ wünscht. Dieser freundliche Gruß wird von Gernot Köhler, einem verschwitzten jungen Fußballer mit AirPods in den Ohren und Rückenwerbung für „Heilmanns Kaminofenbau“ vollkommen überhört. Nervös hält er die Abholbenachrichtigung für seine Amazon Bestellung in den Händen. Unaufhaltsam rennt der Zeiger jedoch indes weiter. Eberhardt Grau bezahlt gerade seine Schmuckbögen passend in bar: „Hab‘s gleich zusammen… 22.20, 22.30, 22:35, 22:36 Euro – Doch nicht.“

Ich stehe als letzter in der Reihe und merke: Das wird heute nix mehr. Dabei hätte ich doch nur eine kurze Frage zu einer Restrisiko Anschlussfinanzierung gehabt. Nun gut, dann komm ich eben morgen am späten Nachmittag wieder. So gegen 17 Uhr – da ist nämlich nie viel los!

Ähnlichkeiten mit bekannten Orten und Personen sind rein zufällig!
Das Bild gabs für lau von pixabay.de.

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